Herta wer?

„Hand aufs Herz – wer kennt Herta Müller?“ Diese bzw. ähnliche Fragen tauchten gestern öfters auf Twitter, Facebook und sonstwo in sozialen Sonstwo-Netzen auf, und die Antworten waren ebenso einhellig wie vorhersehbar: „Nie gehört.“ – „Kenne nur Hertha BSC.“ etc. Nicht mal die Vermutung „Ist das vielleicht die Frau von Heiner Müller?“ gönnte man der frischgebackenen Literaturnobelpreisträgerin, dazu ist Heiner Müller wohl schon zu lange tot, denn kennt auch keiner (mehr).
Da staunt die „digtale Bohême“, dass die Stockholmer jemand, der ihnen vollkommen unbekannt ist, mit dem wichtigsten Literaturpreis der Welt bedenken. Wenn’s ein Japaner wie Kenzaburō Ōe oder ein franzüsischer Chinese wie Gao Xingjian ist, ist das ja verzeihlich, aber jemanden aus dem eigenen Land zu ehren, denn man nicht kennt? Schon merkwürdig, diese Stockholmer.
Natürlich ist es kein Wunder, dass Herta Müller hierzulande nicht in der vordersten Liga der Literatur-Promis mitspielt: ihr Thema ist Rumänien (in diesem Land hat sie bis vor zwanzig Jahren gelebt), ihr Thema ist die Unterdrückung der Menschen dieses Landes durch das totalitäre Regime, das dort jahrzehntelang geherrscht hat. Wie soll jemand, der sich ein Leben lang an diesem Thema abarbeitet, hierzulande zu Ruhm kommen?
„Hast du mal was zu lesen?“ – „Ja, hier, hab ich gerade durch, was über Menschenrechtsverletzungen in Rumänien.“ – „Ach.“
Durch die Verleihung des Literaturnobelpreises wird jetzt die Aufmerksamkeit auf Herta Müller, ihre Bücher und ihr Thema gelenkt. Und das ist gut, das ist richtig und das ist wichtig, denn es ist letztlich nicht wichtig, ob das Publikum hierzulande Literaturpreisträger ABC oder Literaturpreisträger XYZ kennt. Wichtig ist, dass unbequeme Themen in die öffentliche Diskussion kommen, die sich nicht an den persönlichen Befindlichkeiten des Großfeuilletons orientieren.
Irgendwie schade, dass es des Nobelpreises bedarf, um einer mutigen, hartnäckigen und fähigen Autorin wie Herta Müller die verdiente Aufmerksamkeit in dem Land, in dem sie lebt, zu verschaffen. Und in sofern hat die Stockholmer Kommission eine sehr, sehr gute Wahl getroffen, denn sie ist vom Stifter des Preises ausdrücklich auf den Idealismus des Autors bzw. seines Werks verpflichtet worden.
Da hat’s die richtige getroffen, auch und gerade weil sie bis gestern hierzulande nicht jeder kannte.
Und nächstes Jahr dann endlich Philip Roth, nicht wahr? Stockholm?