Sie wissen nicht, dass sie nicht wissen, was sie tun

In den meisten Branchen sind Neuerungen und Komplett-Erneuerungen nichts neues sondern Alltag. Der Inhaber eines Grafik-Studios in New York sagte mir einmal: „You know, Chris, every twenty years, someone changes the whole ballgame.“ Alle zwanzig Jahre wurden für diesen Mann also die Grundregeln seines Geschäfts geändert. Und er beklagte sich nicht, er begriff das grundsätzlich als Chance: Denn wenn die Regeln des Geschäfts geändert werden, dann kann man auch der erste sein, der nach den neuen Regeln spielt, kann neue Kunden gewinnen, alten Kunden beim Übergang behilflich sein, sich selbst ein paar Innovationen einfallen lassen… das war für diesen Mann geschäftlicher Alltag.

Für deutsche Verlage und Buchhändler ist es, um Frau Merkels mittlerweile berüchtigtes Wort aufzugreifen, komplettes Neuland. Die Digitalisierung, der sie sich nunmehr stellen müssen, empfinden sie als Bedrohung, E-Books, die eigentlich eine große Möglichkeit für Autoren, Verlage und Buchhändler sind, mehr und zahlreiche Leser auf neuen und preiswerten (!) Wegen zu erreichen, werden mit größter Sekpsis betrachtet und gern als „neumodischer Kram, der sich nicht durchsetzen wird“ belächelt. Und sie tun alles, um ihre Kunden beim gedruckten Buch zu halten. Was sich besonders an den E-Book-Preisen der klassischen Verlage ablesen lässt.

Am letzten Samstag ist „Grimmbart“ erschienen, der neue Kommissar-Kluftinger-Roman von  Klüpfel und Kobr. Ich bin süchtiger Klufti-Fan, ich kaufe das neue Buch immer am Erscheinungstag und lese es im Höchstgeschwindigkeitstempo durch 1.

Auch diesmal wieder musste ich es als gedrucktes Hardcover kaufen. Ja, MUSSTE. Ich hätte es viel lieber als E-Book gelesen. Das Handling einer Schwarte mit mehr als 500-Seiten ist auf einem Reader doch deutlich angenehmer (und das Gewicht ist auch viel geringer), die Möglichkeit, die Schriftgröße beliebig zu skalieren, ist für einen Profi-Fehlsichtigen wie mich ein reiner Segen, es gab nur ein Argument für die sperrige Printausgabe: den Preis. Print 19,99 Euro, E-Book 17,99 Euro.

Mich haben Sie doch nicht mit dem Klammerbeutel gepudert, dass ich soviel Geld für ein E-Book zahle. Für ein E-Book, das ich nicht verleihen kann wie ein gedrucktes Buch. Das ich nicht verkaufen kann wie ein gedrucktes Buch. Das ich nicht verschenken kann, wie ein gedrucktes Buch.

„Sehen Sie, das gedruckte Buch ist eben doch besser!“ rufen mir die Digital-Deppen der Verlage und des Börsenvereins jetzt zu, und ich kann nur dern Kopf schütteln. Natürlich ist weder das gedruckte noch das digitale Buch „besser“ der Inhalt ist ja der gleiche. „Eben“, argumentieren die Digital-Deppen dann gern weiter, deshalb MUSS das E-Book ja beinahe genausoviel kosten wie die Printvariante.

Dass sich tatsächlich Menschen mit einem derartigen Unfug an die Öffentlichkeit wagen, macht deutlich, dass sie ihre Endkunden, die Leser, für dumm halten. Ein E-Book ist deutlich preiswerter herzustellen als das gedruckte Buch, es muss kein Seitenumbruch gemacht werden, es gibt viel weniger typographische Fallstricke zu bewältigen, es muss kein komplettes Cover sondern nur ein Titelbild entworfen werden… das (einfach gestaltete) E-book ist quasi ein Abfall-Produkt des klassischen Buchsatzes. Aus vielen DTP-Programmen heraus kann man direkt eine E-Book-Datei schreiben, oder man benutzt das freie Tool „Calibre“ zur Umwandlung. Mehrkosten: keine.

Ebenso entfallen sämtliche Vertriebskosten für ein E-Book. es ist ja nur eine Datei, die sich die Händler (auch der Zwischenhandel macht beim E-Book keinen Sinn und damit keine Kosten mehr) problemlos herunterladen und in ihre Portale einbinden können. Bzw. die Leser direkt beim Verlag herunterladen können und damit dessen Marge nochmal vergrößern.

Bleiben Autor und Lektorat, und hier setzt endgültig der Zynismus einer von Neuerungen überforderten Verlagsbranche ein, wenn sie behaupten, dass das Kostenfaktoren wären, die Mondpreise für E-Books rechtfertigen. Die meisten Verlage haben schon vor zwanzig Jahren begonnen, ihre Lektoratsabteilungen brutal zusammenzustreichen. Viele Lektoren, die früher als Verlagsangestellte bezahlt wurden, erledigen die gleiche Arbeit jetzt für weniger Geld als Selbständige, wenn überhaupt noch lektoriert wird. Vor allem in der Unterhaltungsliteratur beschränken sich „Lektorate“ mittlerweile auf die halbautomatische Rechtschreibprüfung.

Und die Unbescheidenheit deutscher Autoren ist ja bekannt. 5% beim Taschenbuch, 10% beim Hardcover sind die Tantiemen, die Verlage ihren Autoren im Print zahlen, und an den horrenden Forderungen, die Menschen, die sich auf solche Print-Preise einlassen, für E-Books fordern, wird die ganze Branche zugrunde gehen.

Nein, die meisten E-Books deutscher Verlage sind schlichtweg viel zu teuer. Würde man die Preise realistischer und für die Kunden akzeptabel gestalten, könnte man ja deutlich mehr Umsatz und damit mehr Gewinn machen. Nein, das ist bei den E-Books keine Milchmädchenrechnung, es erhöhen sich ja die Kosten nicht!  Warum also diese idiotische Preisgestaltung? Einige wollen vielleicht die überfällige Digitalisierung noch ein wenig hinausschieben und die Leser auf diese Weise beim Print-Buch halten. Andere wollen vielleicht noch mal einen letzten (kleinen) Reibach machen, bevor bei ihnen die Lichter ausgehen. Die meisten, fürchte ich, wissen gar nicht, dass sie gerade fürchterlich viel falsch machen. Die sind so ahnungslos, die wissen tatsächlich nicht, dass sie nicht wissen, was sie tun.

Heute (Mittwoch, 24.9.) Abend um 22 Uhr 15 läuft im rbb das Wirtschaftsmagazin „was!“ mit einem Beitrag über E-Book-Preise. Für den wurde auch ich interviewt. Ich habe in etwa das erzählt, was ich jetzt in diesem Posting geschrieben habe.

 

  1. Was bei „Grimmbart“ besonders leicht fiel, einer der besten Romane der Serie, der Culture-Clash zwischen dem Allgäu und Japan ist zum Schreien komisch. Den Herren Klüpfel und Kobr ist hoffentlich klar, dass sie früher oder später den ganzen Weg gehen und „Kluftinger in Japan“ liefern müssen!